Die für mich wichtigsten Themen drehen sich rund um die Themen Kreislaufwirtschaft und Kunststoffe. Sie sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken, denn wir leben in einer Welt der künstlich erzeugten Stoffe. Sie sind das Symbol für Fortschritt, Bequemlichkeit, Sicherheit und Komfort. Und ich benutze bewusst auch das Wortspiel – künstlich erzeugte Stoffe, denn da müssen wir unsere Aufmerksamkeit und unsere Wahrnehmung hinlenken. Nicht nur Kunststoffe, sondern beinahe alle uns umgebende Materialien sind künstlich erzeugte Stoffe. Papier, Glas und Metalllegierungen sind dabei genauso zu inkludieren. Das ist das Los oder der große Gewinn der menschlichen Entwicklung – wir sind fähig, nahezu jedes Material zu kreieren. Dennoch sind Kunststoffe die einzigen künstlich erzeugten Stoffe, welche in der öffentlichen Wahrnehmung sehr negativ behaftet und umstritten sind. Denken wir doch einmal nach, wie würde eine Welt ohne Kunststoffe aussehen? Fehlende Wasser- und Abwasserleitungen, Dichtungen, Dämmungen, Textilien, Schaumstoffe, Beschichtungen, Klebstoffe, Farben, Lacke, medizinische Hilfsmittel, Mobilität, Verpackungen und letztlich auch die fehlende Digitalisierung, welche ohne Kunststoffe nicht möglich wäre.
Kunststoffe sind durch ihre Vielfalt hoch faszinierende Materialien, deren Einsatzgebiete nahezu unendlich sind. Wir können uns mit unserem heutigen Lebensstandard diesem Werkstoff nicht mehr entziehen. Doch ergeben sich genau aus dieser Vielfältigkeit natürlich auch Herausforderungen und Aufgaben, wie aber immer, wenn man etwas Natürliches verändert und damit in den natürlichen Lebensraum eingreift. Diese Herausforderungen können einfach sein (falsche oder nicht bekömmliche Zutat entfernen), zumeist sind sie jedoch hochkomplex. Nehmen wir das Beispiel Verpackungen: hier ist in erster Linie die Aufgabe des Produktschutzes zu lösen. Jedes Produkt benötigt aber einen ganz spezifischen Ansatz, eine Erdbeere hat andere Anforderungen als ein Stück Fleisch oder ein Elektrogerät. Diese von uns oftmals kaum beachteten und von vielen so bekrittelten Verpackungen sind eigentlich hochtechnologisch entwickelt. Das Produkt kommt nach einem Transport über 1000ende km frisch und unbeschadet bei uns an. Und dann noch kostengünstig, leicht und in der Größeneinheit, wie es unsere eigene Lebensbedingung gerade benötigt und wir sollten das Produkt bestenfalls auch noch durch die Verpackung erkennen können. Ich kenne jedoch nur ganz wenige, und das sind vor allem Branchenkollegen, die sich eine solche Verpackung mal genauer ansehen und deren Aufbau, Funktion und Design wirklich wahrnehmen und nicht gleich als lästiges Beiwerk mehr oder weniger ordnungsgemäß entsorgen. Denken wir nur an die Getränkeflaschen – wie viel leichter ist der Einkauf geworden, wie viel Scherben blieben uns erspart und wie praktisch sind diese überall mitzunehmen.
Und hier gilt es anzusetzen – Kunststoff als Wertstoff in der breiten Öffentlichkeit bewusst zu machen, der uns unser Leben vereinfacht, bequemer und sicherer macht. Aber eben auch mit einigen Herausforderungen: achtlos weggeworfen oder im Restmüll entsorgt ist dieser Wertstoff für immer verloren. Und das darf – vor allem im Hinblick auf Littering – und muss auch nicht so sein. Gerade Österreich ist in der Kunststoffrecyclingtechnik Weltführer und dies sollte auch immer wieder positiv hervorgehoben werden. Das Wissen um Recycling und auch die Maschinentechnik ist vorhanden und wird vielfach auch angewandt. Es müssen jedoch auch Lücken geschlossen werden.
Aus diesem Grunde ist diese Wahrnehmung des Kunststoffes als Wertstoff durch die Öffentlichkeit so wichtig. Hier sind zwei wesentliche Aspekte anzusprechen. Wenn wir den Kunststoff auf die Wertstoffebene heben, werden wir uns auch den Einsatz als Einwegprodukt intensiver überlegen. Ein Wertstoff ist doch viel zu schade, um nur einmal verwendet zu werden, bzw. der einmalige Einsatz muss einen wesentlichen Mehrwert für uns erfüllen. Ich für mich bezeichne die Single-Use-Plastic-Strategy der EU persönlich immer als die Single-Use-Products-Strategy. Denn im Hinblick auf eine nötige Ressourcenschonung (der derzeitige Rohstoffverbrauch von Industriestaaten beträgt mehr als 2 Erden pro Jahr, das kann sich längerfristig nicht ausgehen) müssen wir beginnen, die Frage zu stellen: welche Produkte benötigen wir wirklich? Eine Materialdiskussion, wie Sie nun vor allem zur Substitution von Kunststoffen gesteuert wird, führt nur zur Substitution von Materialien, aber nicht zur Ressourcenschonung. Das sieht man vor allem im Bereich Verpackungen. Schnell ist die Kunststoffverpackung durch eine Papierverpackung ersetzt, ohne zu hinterfragen, ob diese Art der Verpackung prinzipiell notwendig ist. Es wurde nicht das Produkt an sich hinterfragt. Was bedeuten zum Beispiel Coffee2Go Becher? Sind es nicht einfach Zeichen, dass wir uns selbst nicht einmal mehr wert sind, uns gemütlich hinzusetzen und eine Tasse Kaffee in Ruhe zu genießen? Ist es wirklich Luxus, gehetzt einen Kaffee im Gehen zu trinken. Kunststoff-Trinkhalme sind eine ähnliches Beispiel.
Der zweite Aspekt ist die Frage, warum ein Wertstoff, wie es auch Papier, Glas und Metalle sind, achtlos weggeworfen wird. Wird Kunststoff als Wertstoff in der Öffentlichkeit wahrgenommen, ist die Bereitschaft zu einer Erfassung in der getrennten Sammlung von Abfällen wesentlich höher – wie uns auch die hervorragenden Zahlen der getrennten Erfassung von Papier, Glas und Metallen zeigen. Diese getrennte Erfassung von Kunststoffabfällen ist die wesentliche Grundlage für das Recycling. Ohne entsprechende Massenströme und Mengen rechnet sich der Aufwand einer Sortierung, Aufreinigung und Aufbereitung der Kunststoffe einfach nicht. Durch diese fehlenden Mengen können auch höchst innovative Recyclingtechniken nicht angewandt und auch erst gar nicht entwickelt werden.
Das achtlose Wegwerfen von nicht wertgeschätztem Kunststoff führt zum berechtigter Weise verabscheuten Littering und den unglaublichen Problemen in der Umwelt. Eine Entsorgung über den Restmüll bringt zwar die Möglichkeit der thermischen Verwertung, aber letztlich bedeutet dies auch die Freisetzung des in Kunststoff gebundenen Kohlenstoffes als CO2. Im Zuge der Ressourcen- und Klimaschonung sollte der Kunststoff, wie auch alle anderen Wertstoffe, so lange als möglich im Kreislauf gehalten, kaskadisch genutzt und erst als letzte Option thermisch verwertet werden. Die dann noch freigesetzte CO2-Menge kann den Einsparungen an CO2 durch den Einsatz von Kunststoffen im gesamten Lebenszyklus gegengerechnet werden. So wird man feststellen, was für einen wesentlichen Beitrag die Kunststoffe zur Klimaschonung bringen. Hier ist das Bewusstsein zum nötigen Wandel zu einer klima-, umwelt- und ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft schon länger tief verankert und es gibt schon länger enorme Anstrengungen, dieses Ziel auch wirklich zu erreichen. Diese Innovationen gilt es in Zukunft noch weiter öffentlichkeitswirksam hervorzukehren.
Kreislaufwirtschaft ist ein sehr komplexes Thema, und genauso komplex ist das Thema Pfand auf Einwegprodukte aus Kunststoff. Wir Österreicher haben, in Europa absolut mustergültig, schon 1993 die ersten Schritte zu einer Kreislaufwirtschaft getätigt und ein Sammelsystem für Verpackungsabfälle installiert. Diese Vorreiterrolle ist den wenigsten bewusst. Die Grundlage für Recycling ist nun einmal die möglichst sortenreine Erfassung von Materialien. Dieses höchst innovative System der ARA, welches vor allem aus der Herstellerverantwortung heraus gegründet wurde, hat sich im Bereich der Kunststoffverpackungen aus dem Haushaltsbereich, vorwiegend mit der getrennten Erfassung von Hohlkörpern beschäftigt. Die Vorsortierung durch die Bevölkerung hat einen wesentlichen Anteil an dieser Erfolgsgeschichte, denn nur so konnten durch nachfolgende Sortierung in Sortieranlagen diese für ein wertstoffliches Recycling notwendige Qualität, vor allem im Bereich PET-Flaschen, erreicht werden.
Durch die Vorgaben des EU-Kreislaufwirtschaftspaketes haben sich jedoch die Anforderungen geändert. Es müssen höhere Recyclingquoten im Verpackungsabfallbereich erreicht werden, eine reine Hohlkörpersammlung erfüllt diese Aufgabe nicht mehr. Es müssen weitere Kunststoffverpackungsfraktionen und auch wesentlich größere Mengen gesammelt werden. Es gilt, das System neu zu denken. Das Pfandsystem ist eine mögliche zusätzliche, aber nicht alleine ausreichende Variante. Es wird die getrennte Sammlung von Verpackungskunststoffen nicht ersetzen können. Das Pfandsystem ist als eine intensivere sortenreine Erfassung von Getränkeflaschen, welche vorwiegend aus PET bestehen und „nur“ 30% der Kunststoffverpackungsabfälle ausmachen (d.h. wir reden von 10% der gesamten Kunststoffabfällen) zu sehen. Die höhere Sortenreinheit ermöglicht ein höherwertiges Recycling, auch im Hinblick auf den Einsatz der Rezyklate im Lebensmittelbereich, welcher nach den Vorgaben der EFSA nur dann erreicht werden kann, wenn 95% der Lebensmittelverpackungskunststoffe getrennt von den Nicht-Lebensmittelverpackungskunststoffen erfasst werden. Es gibt viele zusätzliche Vorgaben und Regelungen für das Recycling, welche ebenso beachtet werden müssen. Der positive Einfluss des Pfandsystems auf das Littering wird mit ca. 5-15% des gesamten Litterings beziffert, dh. wir beseitigen mit einem Pfandsystem nicht das gesamte Littering, sondern maximal 15%. Für die restlichen 85% des Litteringproblems müssen wir weitere Lösungen suchen.
Wir müssen das System der getrennten Kunststoffverpackungen daher weiterführen und zusätzlich noch ausbauen, da neue Fraktionen gesammelt werden müssen, auf die die bestehenden Sortieranlagen, aber auch die gesamte Logistik, nicht eingestellt sind. Auch das ist mit enormen Investitionen verbunden. Wir liegen derzeit bei Recyclingquoten von 22,4% im Kunststoffverpackungsbereich – und müssen bis 2025 50% erreichen. Da muss vieles vollkommen neu gedacht und die Kosten unter Kontrolle gehalten werden.
Es ist eben ein hochkomplexes Thema an sich schon. Hinzukommen natürlich auch noch einzelne Interessen der unterschiedlichsten Branchen, welche ebenso betroffen sind. Die kunststoffproduzierende Industrie kann sich dabei nur in der Frage der Rohstoffversorgung einbringen – sprich den für das Recycling und den Einsatz an Rezyklaten benötigten Mengen und entsprechenden Qualitäten. Wir dürfen ja nie vergessen, was es heißt, Industrieprozesse zu verändern oder zu adaptieren, welchen enormen technischen Aufwand und auch monetären Einsatz das mit sich zieht. Nur durch entsprechend gleichbleibende Qualitäten und garantierte Mengen an Sekundärrohstoffen kann Kreislaufwirtschaft erfolgreich gelebt werden. Aus diesem Grunde sollte auch die Diskussion gestartet werden, ob man ausschließlich Verpackungskunststoffe in einer getrennten Sammlung erfassen will, welche „nur“ 30% der gesamten Kunststoffabfälle ausmachen, oder ob man nicht auch Nicht-Verpackungskunststoffe verstärkt einem Recycling zuführen will. Im Recycling unterscheidet sich ein Verpackungs-PE nicht wesentlich von einem Nicht-Verpackungs-PE. Würde man hier die entsprechenden Fraktionen zusammenführen, könnte weitaus mehr Kunststoff recycelt und damit im Kreislauf geführt werden. Und dies hieße auch mehr an gebundenem CO2.
Um das hochkomplexe Thema Kreislaufwirtschaft wirklich umfassend verstehen und dann auch Lösungen finden zu können, ist eine verstärkte Kommunikation innerhalb der Branche, aber auch Branchenübergreifend entlang der gesamten Wertschöpfungskette wichtiger denn je. Auch hier sollte ein Umdenken erfolgen und vielfach erkennt man diesen Wandel schon. War früher ein entwickeltes Patent und streng geheime F&E der Schlüssel zum Erfolg, so ist es nun ein erfolgreiches Netzwerk und eine offene Gesprächskultur. Meiner Meinung nach muss der erste Schritt die Findung einer gemeinsamen Sprache sein. Die vielen unterschiedlichen Verwendungen gleicher Begrifflichkeiten, ungenauen Definitionen etc. macht selbst ein Verständnis innerhalb der Branche schon schwierig, und erst recht, wenn unterschiedliche Branchen miteinander kommunizieren. Ganz davon abzusehen, dass es auch für die Bevölkerung ohne eine einheitliche, leicht verständliche Begrifflichkeit gar nicht mehr nachvollziehbar ist. Ein gutes Beispiel ist die Forderung nach einem einheitlichen Sammelsystem. Streng genommen ist es die Forderung nach einer einheitlichen Sammelart (Hol- und Bringsystem, Kunststoff mit Metall, Kunststoff ohne Metall, etc.). Diese unterschiedlichen Sammelarten sind wirklich verwirrend, da sie sich von Gemeinde zu Gemeinde unterscheiden können. Bis 2015 hatten wir in Österreich ein einheitliches Sammelsystem – das war die ARA. Durch eine Entscheidung der EU wurde diese Monopolstellung zu Gunsten des Wettbewerbs aufgehoben. Seit damals wurden fünf weiter Sammelsysteme in Österreich eingeführt, die aber alle die gleichen Sammelarten anwenden. Es sind Feinheiten, aber die muss man bewusst kommunizieren.
Laut einer aktuellen Umfrage können 95% der österreichischen Bevölkerung mit dem Begriff Kreislaufwirtschaft nichts anfangen. Zur Entwicklung einer einheitlichen Sprache finden gemeinsam mit dem Kunststoffcluster, den Verbänden der Wirtschaftskammer und auch dem ÖWAV schon einige Aktivitäten statt. Besonders hervorheben möchte ich den nun mit 2. Juli 2021 neu konstituierten Arbeitsausschuss des ÖWAV – Kunststoffkreislauf. Dessen wesentliche Ziele liegen darin, Basisinformationen und Ansatzpunkte zur Etablierung einer Kreislaufwirtschaft für post-consumer und post-industrielle Kunststoffabfälle im Sinne des Kreislaufwirtschaftspaketes der EU branchenübergreifend bereitzustellen. Hier wird wirklich ein hochqualifiziertes FachexpertInnen-Gremium gebildet, das sich dem Thema generell und auch österreich-spezifischen Fragen fachlich fundiert und breitenwirksam widmet.
Wie man sieht, ist es genau die Vielfältigkeit und Komplexität, die diese Themen wirklich interessant machen. Kunststoffe sind wertvolle Rohstoffe, aber wir stehen auch vor enormen Herausforderungen, die es in Zukunft zu lösen gilt. Hierzu benötigt es wirklich Fachexperten, die brauchbare Lösungsansätze entwickeln können. Leider fehlen der Branche vielfach diese Fachexperten, denn durch das betriebene Kunststoffbashing entscheiden sich die wenigsten Auszubildenden für diese Branche, obwohl gerade wir hier in Österreich so großartige Ausbildungsstätten im Bereich Kunststoff vorzuweisen haben. Ich muss es nochmals sagen, Kunststoff ist der Werk- und Wertstoff unserer Zeit, der absolut nicht mehr wegzudenken ist. Wir müssen unseren Umgang und unsere Einstellung dazu ändern und konstruktiv an den Herausforderungen im Umgang damit arbeiten. Es ist mir wirklich eine Herzensangelegenheit, möglichst viele Auszubildende auf dieses hochinteressante Thema aufmerksam zu machen und dem leider hartnäckigen Gerücht entgegenzuwirken, dass Kunststoffe keine Zukunft haben. Wie viele Jahre an Erfahrung im Umgang mit Papier, Glas, Metallen oder Holz haben wir in der Menschheitsgeschichte – in der Kunststoffindustrie im Vergleich dazu nur ca. 150 Jahre. Wir stehen also noch am Anfang der Entwicklung und müssen natürlich noch vieles lernen. Aber was kann es schöneres geben, als Teil dieser großartigen, hochinnovativen Entwicklung zu sein?
DI Sabine Nadherny-Borutin, Generalsekretärin von PlasticsEurope Austria, sowie Vice President des CSR-Dialogforums